Was sind RomBuk, Kalderasch und Képes levelezõlap?
Kritische Digitalisierung einer problematischen Postkartenwelt

Der Rom e.V. ist eine aus der Bürgerrechtsbewegung entstandene vielseitige Einrichtung, die sich seit fast dreißig Jahren für die Rechte, Kultur und Bildung von Sinti und Roma einsetzt. Ein Herzstück des Rom e.V. ist das RomBuk, eine Bibliothek, eine Mediathek und ein Archiv, das über eine einzigartige Sammlung an mehreren tausend historischen Graphiken und Postkarten mit so genannten ‚Zigeunermotiven‘ verfügt. Pragmatisch und oft mit wenig Geld hat der Rom e.V. einen Ort geschaffen, wo sich in guter Nachbarschaft die Literatur aus der Minderheit mit den Bildern und Diskursen der Mehrheitsgesellschaft trifft und der für Forschungen zu Roma und Sinti, sowie für Antiziganismus sehr geeignet ist. Einen Einblick in die Arbeit und Sammlung des Rom e.V. lässt sich zurzeit nicht nur vor Ort gewinnen, sondern auch in der Ausstellung „Rassendiagnose Zigeuner. Der Völkermord an den Sinti und Roma und der lange Kampf um Anerkennung“ im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, EL-DE-Haus gewinnen.

Anfang des Jahres begannen prometheus und der Rom e.V. gemeinsam im Rahmen eines neunmonatigen Forschungsprojekts eine Digitalisierung dieses Bestandes zu konzipieren. Durch frühere Besuche im Rom e.V. sowie die Zusammenarbeit im Rahmen seiner Ausstellung „Vergessene Europäer“ im Kölnischen Stadtmuseum 2008/09, kannte ich den Verein und seine Sammlung bereits. Dadurch fiel der Start mit zwei Hilfskräften, die jeweils bei einem der Kooperationspartner arbeiteten leicht.
Die Postkarten haben nicht nur motivisch eine sehr große Vielfalt, sondern kommen aus nahezu allen europäischen Ländern, und sie sind mit dem vorhandenen Bestand an Illustrationen nur in Teilen zu vergleichen. So haben wir nicht nur Titel und Beschriftungen in den unterschiedlichsten Sprachen (Képes levelezőlap ungar. für Postkarte), sondern auch verschiedene Bildsprachen. Etwas pauschal ausgedrückt, könnte man sagen, dass Photographie und Massenmedien, das in der Frühen Neuzeit geformte Bild der „Zigeuner“ nur in Teilen übernehmen und stattdessen ein (pseudo)ethnografischer Blick etabliert wird. Dadurch suggerieren diese Bilder, historische Dokumente einer Lebenswirklichkeit zu sein und hier fängt das Projekt an kompliziert zu werden.

Die Bilder entstammen einer Massenproduktion und einem hegemonialen Blick, der die Dargestellten nicht fragt, wie sie gezeigt werden sollen, sondern in vielen Fällen die Szenen inszeniert und die Motive sehr stark auswählt. Es sind Bilder, die Zivilisationsferne zeigen und Klischees bestätigen sollen, wie auch einige Texte auf den Postkarten belegen. Eine romantische Sicht verbindet sich im Laufe des 19. Jh. bis in die Zwischenkriegszeit immer mehr mit einem diskriminierenden rassistischen Blick auf vermeintlich Primitive.

Dies lässt den Umgang mit den Bildern, ihre Annotation und erneute Veröffentlichung zu einem sensiblen Vorgang werden, der immer wieder mit allen Akteuren abgestimmt werden muss. Damit wird das Projekt zu einem wichtigen Beispiel, da hier über Open Access einmal nicht mit dem Fokus des Copyrights oder der Frequentierung von Institutionen („kommt dann noch jemand ins Museum?“) diskutiert wird, sondern in einen gesellschaftlich-politischen Kontext des Bildgebrauchs. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die verwendeten Photographien nicht nur Inszenierungen zur Erzeugung von Überlegenheitsgefühlen sind, sondern in vielen Fällen dennoch oft die einzigen Darstellungen von Menschen und Lebenssituationen. Sie zeigen im Aussterben begriffene Handwerke (wie die Kalderasch = Kesselschmiede) oder mittlerweile verbotene Berufe wie den Bärenführer.

Heutige Sinti und Roma mögen darin Vorfahren und entfernte Verwandte erkennen und viele der Dargestellten sind die ansonsten geschichtslosen Opfer des Holocaust. Das Projekt versucht auch dieser Bedeutung des Materials gerecht zu werden, indem die Bilder und Schritte mit den Angehörigen der Minderheit besprochen werden. Dazu wird versucht den Entstehungsort von Photographien soweit als möglich zu rekonstruieren und in prometheus zu geotaggen (auch um wechselnden territorialen Zugehörigkeiten gerecht zu werden).

Daneben gibt es viele kleine Entdeckungen in der täglichen Arbeit mit dem Material: auf den zweiten Blick erkennen wir in einer ‚Zigeunergruppe‘ einen Fastnachtsverein oder ethnographische Puppen in einem Heimatmuseum; es gibt Serien von Operetten und operettenhafte Liebespaare, die aus dem Klatschpresse zu Postkartenmotiven wurden. Wir sehen rauchende Kinder, die so unbeholfen mit den Zigaretten umgehen, dass wir den Spender hinter der Linse vermuten können und lernen anhand von Briefmarken und Kartenlayouts zu datieren. Orte und Personen tauchen in verschiedenen Darstellungen auf, es entsteht ein Geflecht aus Kopien und Variationen. Daneben bilden sich viele Strömungen der Moderne und historistische Tendenzen im breiten Spektrum zwischen Gebrauchsgraphik, Illustriertendrucken, Kunstpostkarten und allgemeinen Bildpostkarten ab und nicht selten laufen die Stränge in einzelnen Darstellungen zusammen.

Die Digitalisierung dieses Kaleidoskops darf sich nicht in statischer Erschließung des Einzelobjektes erschöpfen. Über die Verschlagwortung hinaus, sollen im Digitalisierungsprojekt bildliche Bezüge durch Computer Vision und manuelle Verknüpfung zusammengehöriger Serien und Bildgruppen vorgenommen werden. Als Forschungsdatenbank erfolgt die Erschließung nicht nach einem egalitären Prinzip von Karteikarten mit standardisiertem Vokabular, sondern eher in Form eines Ausstellungskatalogs, indem verschiedene Textformen, beschreibende, interpretierende, kompilierende und essayistische Ansätze möglich sind. Prometheus erlaubt es darüber hinaus die lokale und sehr spezifische Sammlung mit seinem Bildbestand zu verknüpfen – den Holzstich eines Gemäldes, mit der digitalen Reproduktion des Originals in Zusammenhang zu bringen. Mit der sorgfältigen und ausführlichen Kommentierung und dem Aufzeigen von starren Formationen im Bildrepertoire (durch Datenanalyse) soll dann auch die Dekonstruktion des Materials gelingen und Stereotype, Rassismen und andere hegemoniale Diskurse sichtbar werden.

Ende Oktober wird das Konzeptionsprojekt abgeschlossen. Das eigentliche Digitalisierungsprojekt soll dann im kommenden Jahr starten.

(Gastbeitrag von Dr. Peter Bell)